Reich der Mitte

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Beim neuen Schaltwerk der Baugruppe II tritt an die Stelle der Kriechgänge eine Zwischengruppe. In dieser sind die Gänge um jeweils rund 30 Prozent untersetzt. Die Normalgänge schaltet der ­
Fahrer mit der Knüppelschaltung, die Untersetzung (Zwischengruppe) per Schaltwippe mit dem rechten Fuß. Vor dem Betätigen muss der Fahrer auskuppeln, danach wieder einkuppeln. Insgesamt eine Methode, die – so ist es überliefert – auch technische Grobmotoriker schnell in den Griff bekamen. Durch das Untersetzen des ersten Ganges deckt die Schaltung auch die damals üblichen Kriechgeschwindigkeiten ab. Alle Gänge sind nunmehr voll belastbar.

Die Vorteile der Zwischengruppe
Kramer machte folgende Rechnung auf: Mit dem alten Getriebe musste der Fahrer an Steigungen, wenn es die Anhängelast erzwang, einen vollen Gang zurückschalten. Das reduzierte die Geschwindigkeit auf 15 Kilometer pro Stunde, obwohl die meisten Anhänger für 20 zugelassen waren. Mit dem neuen Getriebe schaltete der Fahrer in den Zwischengang und konnte bei voller Motorleistung die Geschwindigkeit halten. Das galt so für den KL 300 mit Schnellgang.
In der Standardversion sah es anders aus. Aber auch da hatte früher ein Herunterschalten beinahe eine Halbierung der Geschwindigkeit zur Folge. Beim neuen Getriebe reichte der untersetzte fünfte Gang aber immerhin noch bis 14 Kilo­meter pro Stunde.
Kramer-Getriebe gelten als robust. Reparaturen sind selten. Wenn aber nach Jahrzehnten des Einsatzes doch etwas hakt, sind gebrauchte Ersatzteile für diese „Designergetriebe“ selten zu haben, zumindest auf dem Markt für gebrauchte Teile. Typische, von drohenden Schäden kündende Merkmale in der Geräuschkulisse gibt es nicht. Hermann Meyer empfiehlt, bei einer Probefahrt das Getriebe durchzuschalten und auf dessen saubere Gängigkeit zu achten.

Automatische Lenkbremse
Als der Kramer Ende 1960 auf den Markt kommt, entsprechen seine zwei Bremssysteme bereits der zwei Jahre später in Kraft tretenden Gesetzeslage. Dabei bräuchte der Schlepper das gar nicht, denn für Modelle, die bis zum Inkrafttreten der Bestimmung ihre Betriebserlaubnis erhalten haben, gilt die Bestandsschutzgarantie. Aber so wirkt die Pedalbremse auf die Hinterräder, die Handbremse auf zwei Trommeln am Getriebe. Außergewöhnlich ist die Methode, nach der die beiden Hinterräder einzeln gebremst werden: mit dem Lenkrad, bei vollem Lenkeinschlag. Dann tritt die automatische Steuerradlenkbremse in Kraft. Einerseits praktisch, weil sich der Fahrer keine Gedanken darüber machen muss, wann er die Pedale für die Einzelradbremse entriegelt (und verriegelt). Andererseits nicht ungefährlich, weil ein voller Lenkeinschlag bei hoher Fahrt zum Kippen des Schleppers führen kann. Den Anbieter zu fragen kommt hier vor dem Probieren: Vor dem Antritt einer Probefahrt lässt sich der Interessent am besten erklären, wie abrupt beim jeweiligen Modell die Lenkbremswirkung einsetzt. Als Sonderzubehör lieferte Kramer eine geteilte Lenkbremse mit Fußpedalen links und rechts.

Modellpflege: Alles wird besser
Die Vorderachse ist pendelnd aufgehängt. Die beiden Vorderräder sind gefedert, in den beiden Achsschenkeln sind Spiralfedern untergebracht. Auf schwierigem Terrain bleiben auf diese Weise alle Räder länger auf dem ­Boden: Die Sperre des Hinterachsdifferenzials braucht erst später betätigt zu werden und die Geländegängigkeit verbessert sich.
Der KL 300 übernimmt die Motorhaube von seinem Vorgänger KL 250. Sie besteht aus dem Kunststoff „Duroelastik“. Der Stoff gilt als besonders stoß- und kratzfest. Stoßfest, weil das Material über eine gewisse Elastizität verfügt. Kratzfest, weil es nicht mit Farbe beschichtet, sondern vor der Formgebung durchgefärbt worden ist. Die vermeintlichen Rippen an den Seiten der Motorhaube dienen allerdings nicht der Kühlung: Darunter ist das Material nicht geschlitzt, sondern durchgängig geschlossen. Neben dem guten Aussehen fördert das die Stabilität der Motorhaube. Anlässlich der Modellpflege im Juli 1963 bekommt der Schlepper die schmale Motorhaube der wassergekühlten „Export“-Modelle. Außerdem werden Lenkung und Bremsen verstärkt.
Eine weitere Modellpflege folgt 1965. Neben dem Leiselaufmotor werden ein neuer Fahrersitz, neue Pedale und eine stärkere Hydraulikpumpe mit Zahnradantrieb in die Ausstattung aufgenommen. Kramer verkauft den KL 300 bis 1970. Drei Jahre später beendet der südwestdeutsche Hersteller der Schlepperbau. Wilfried Michel nennt für den KL 300 eine Produktionszahl von 5.368 Exemplaren.
Die Kehrseite eines Schleppers mit derart vielen Kreativlösungen ist die Ersatzteillage. Für Schnäppchenfahnder nach Gebrauchtteilen im Internet oder auf Oldtimermärkten sind die Erfolgsaussichten eher gering. Mit Ausnahme des Motors, dessen Komponenten durch das Baukastensystem von Deutz weiter gestreut sind. Gut sieht dagegen die Versorgung für Kramer-Schlepper mit neuwertigen Qualitätsteilen aus. Die sind beim Ersatzteilservice von Wilfried Michel im Angebot. Damit ist die Einsatzbereitschaft gesichert. Der KL 300 ist ein attraktiver Klassiker und sein Besitz eine Hommage an ein Pionier-Unternehmen der deutschen Schlepperkultur. In diesem Lichte können ihn auch 40 Hektar nicht überfordern. Wenn man sie als Austragsgeläuf für einen Liebhaberschlepper betrachtet.
Peter Böhlke

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