Ehemalige Klassenfeinde
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Beinahe im Gleichschritt marschierten beide Systeme in Sachen Lenkung. Anfangs verfügten sowohl der Deutz als auch der ZT über ein mechanisches Lenkgestänge. Zwecks Reduktion der Bedienkräfte wurde der Kölner auf Wunsch, der Schönebecker hingegen serienmäßig, mit hydraulischer Lenkhilfe geliefert. Bei letzterem ergab sich jedoch der Nachteil, dass die Ölpumpe beim Auskuppeln stehenblieb und die Lenkung dann nur noch mit erheblichem Kraftaufwand funktionierte.
Abhilfe brachte die schrittweise bis etwa 1975 eingeführte vollhydraulische Lenkung ohne mechanisches Gestänge. Die Hydraulikpumpe wurde nunmehr direkt vom Motor angetrieben und versorgte den oberhalb der Vorderachse eingebauten Hydroschwenktrieb, der die Lenkkräfte mittels eines kurzen Gestänges auf die Achsschenkel übertrug.
Etwa gleichzeitig führte Deutz die hydrostatische Lenkung ein, die anstelle des Schwenktriebes mit einem oberhalb der Vorderachse montierten Hydraulikzylinder arbeitete.
Hydraulik – zwei Welten
Eindeutig den unterschiedlichen Einsatzbedingungen geschuldet ist die jeweilige Auslegung der Hydraulik. Deutz verbaute zunächst eine vergleichsweise kleine Pumpe mit nur 34 l/min Förderleistung, die 1972 immerhin auf 47 l/min gesteigert wurde. Der ZF-Kraftheber früher Exemplare stemmte maximal drei Tonnen, beim 1972 eingeführten Hubwerk eigener Konstruktion waren mit zwei Zusatzzylindern immerhin fünf Tonnen möglich.
Bei der reinen Hydraulikleistung ist der ZT mit seinen zwei Kreisläufen von 50 bzw. 10 l/min trotz des vergleichsweise geringen Arbeitsdrucks von 150 bar gegenüber 175 bar beim Deutz im Vorteil. Für externe Verbraucher steht somit eine höhere Leistung zur Verfügung, während der Kraftheber mit nur 1,8 Tonnen Hubkraft deutlich schwächer ausfällt als beim Deutz.
Der Grund ist einleuchtend: Die westliche Landwirtschaft setzte bevorzugt auf angebaute Arbeitsgeräte, während auf den weitläufigen Schlägen des Ostens zumeist mit aufgesattelten Gerätschaften gearbeitet wurde. Diese mussten nicht komplett, sondern nur an der Vorderhand ausgehoben werden, verfügten jedoch zumeist über eigene, vom Schlepper zu versorgende Hydraulikkreisläufe.
Arbeitstier vs. Hofhund
Welten lagen in der Regel auch zwischen der Arbeitsbelastung östlicher und westlicher Ackerschlepper. Der Deutz D 10006 und seine Kollegen wurden zumeist von privat geführten Betrieben beschafft. Hier nahmen sie dann die Rolle des „großen Schleppers“ an und trugen dementsprechend die Hauptlast des Einsatzgeschehens. Mehr als 100 Hektar waren nur selten zu bewirtschaften, so dass bestenfalls 300 oder 400 Betriebsstunden pro Jahr zusammenkamen.
Anders im Osten: Die riesigen, mit mehreren tausend Hektar operierenden LPGn hielten sich jeweils einen stattlichen ZT-300-Fuhrpark. Im Hinblick auf die Kosten wurde dennoch auf eine möglichst volle Auslastung jedes einzelnen Schleppers Wert gelegt, zumal Bedienpersonal in reichlichem Maße vorhanden war.
Folglich waren Jahresleistungen von 2.000 Betriebsstunden keine Seltenheit. Wenn böse Zungen behaupten, dass ständig irgendwo ein halbzerlegter ZT herumstand und gewisse Exemplare gar als Teileträger vorrätig gehalten werden mussten, sollten sie stets die außergewöhnliche Arbeitsbelastung im Auge behalten. Als vorteilhaft für die Betriebsbereitschaft erwies sich die bereits erwähnte Gleichteilepolitik.
Mehr als die Hälfte der über 70.000 gebauten ZT wurden in der DDR eingesetzt. Da sich die technischen Änderungen über die Jahre in Grenzen hielten, ließen sich die meisten Teile zwischen verschiedenen Exemplaren austauschen.
Gleichteilepolitik in der DDR
Die Vorderachse fand sich darüber hinaus in Allradlastwagen, der Motor gar in weiteren technischen Erzeugnissen. So konnte Daniel Trümper – der Eigner des hier vorgestellten Schleppers – im Laufe der Restaurierung zahlreiche teilweise noch komplett ungebrauchte Teile verschiedener Baujahre auftreiben und auch tatsächlich verwenden.
Der Deutz kann hier nur ansatzweise mithalten. Sein Motor gehört zwar ebenfalls zu einer weitverzweigten, vielfältig eingesetzten Familie, und die ZF-Getriebe der Serie T-300 bzw. T-3000 verblüffen durch ein ausgeklügeltes Baukastensystem, das den Einsatz in 65 bis 200 PS starken Schleppern erlaubte. Neben Deutz griffen unter anderem Eicher, Fendt, Lindner, Renault, Schlüter und Steyr auf diese Kraftübertragungen zurück. Sogar im damaligen Ostblock waren sie zu finden – nämlich bei IMR und Torpedo in Jugoslawien.
Mehr als 120.000 dieser Getriebe baute ZF von 1966 bis 1995, doch im Falle eines Defektes kann nicht jedes Exemplar als Teileträger herhalten. Zu vielfältig sind die Zahnradpaarungen an Eingang und Allradabtrieb sowie im Differenzial und in den Achstrichtern.
Anschluss verloren
Die Kehrseite jener in der DDR gepflegten Gleichteile-Philosophie ist ebensowenig zu übersehen: Fehlende Weiterentwicklung ließ die einst weltweit wegweisende Konstruktion sukzessive den Anschluss verlieren. Die Evolution zur ab 1983/84 erhältlichen ZT-320-Serie konnte daran nur wenig ändern. Ein zusätzlicher Gang im Getriebe, eine komfortablere Kabine und größere Reifen waren willkommene Fortschritte, doch die westliche Industrie war uneinholbar enteilt.
Großschlepper vom Format des ZT leisteten hier zwischen 150 und 200 PS, 100 PS hatte bereits manch vergleichsweise handlicher Vertreter der oberen Mittelklasse unter der Haube. Effizientere Motoren, Lastschaltungen ohne Freilauf, Vorderachsen mit überlegenem Lenkeinschlag und eine dem ZT zumindest gleichwertige Hydraulik gehörten hier mittlerweile zum Standard.
Nicht umsonst hatte Deutz seine großen 06er bereits 1978 durch die DX-Serie abgelöst, mit der nicht zuletzt in puncto Komfort ein neues Zeitalter anbrach. So war das Produktionsende des ZT direkt nach der Wende unausweichlich – er war mit der Öffnung des Marktes praktisch unverkäuflich geworden.
Preis des Fortschritts
Deutz plagten derweil andere Probleme: Schwer ausrottbare Kinderkrankheiten der DX-Getriebe kratzten am einst nicht zuletzt durch die Serie 06 begründeten Image der Unverwundbarkeit. So bleibt ein zwiespältiger Eindruck: Bis in die 1970er-Jahre herrschte in Sachen Technik und Fahrkomfort weitgehend Gleichstand. Danach verlor der Osten langsam den Anschluss, während der technische Fortschritt im Westen bisweilen unerwünschte Nebenwirkungen mit sich brachte.
Heute erfreuen sich beide hier vorgestellten Kandidaten aus gutem Grund einer treuen Anhängerschaft. Der eine lieferte einst den Beweis, zu welchen Leistungen die Konstrukteure im real existierenden Sozialismus in der Lage sind, wenn man ihnen weitgehend „freie Hand“ lässt. Der andere zeigt auf wohltuende Weise, wie unkompliziert und übersichtlich ein Großschlepper der 1970er-Jahre aufgebaut sein kann, mit dem man noch heute vortrefflich arbeiten kann.
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