Ehemalige Klassenfeinde

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Aller Einstieg ist schwer
Außerdem ist „unser“ Deutz ebenfalls ein „spätes“, 1977 aufgebautes Exemplar. Es handelt sich um die von 1976 bis zur Produktionseinstellung 1978 angebotene „Special“-Version mit für die damalige Zeit recht komfortabler Kabine der Firma Fritzmeier. Der Zustieg in dieses Gehäuse ist aufgrund der nach vorne öffnenden, im unteren Bereich recht schmalen Türen und der weit in den Innenraum hineinragenden Armaturentafel nicht übermäßig bequem.

Vom Beifahrer wird gar eine gewisse Akrobatik gefordert, bis er schräg hinter dem Piloten Platz nehmen und sein linkes Bein auf dem Kotflügel ausstrecken kann. Der Fußboden ist nicht komplett eben, und die Schalthebel werden mittig aus dem Getriebe herausgeführt. Wenngleich Seitenschaltungen in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre im Trend lagen, kommt man nicht umhin, dem Deutz-Interieur eine gute Erreichbarkeit aller wichtigen Bedienelemente zu attestieren.

Die Auskleidung der Kabine erzeugt zumindest ansatzweise so etwas wie Wohnlichkeit, und eine gewisse Geräuschdämmung ist unverkennbar – jedenfalls im Vergleich zu einfacher ausgestatteten Modellbrüdern, die mit schlichten Wetterschutzverdecken oder dröhnigen Aufbaukabinen auskommen müssen. 

ZT schon 1967 mit Kabine
Die Türen des ZT öffnen nach hinten – eine heutzutage gängige, für den Einstieg vorteilhafte Richtung. Der ebene Fußboden und die schlankere Armaturentafel erleichtern den Zugang darüber hinaus, nur die Beine wollen unter dem großen Lenkrad eingefädelt werden. Dem Beifahrer kann eine gewisse Beweglichkeit auch im ZT nicht schaden. Mittels eines raumgreifenden Ausfallschrittes und beherzter Handgriffe an den Haltestangen katapultiert er sich über den Fahrersitz hinweg und nimmt schließlich quer zur Fahrtrichtung Platz.

Die Schalthebel stehen wie im Deutz mittig im Fußraum, Handbremse und Hydraulik werden in bewährter Manier rechts vom Sitz bedient, und alle weiteren Organe sind griffgünstig direkt am Armaturenbrett platziert. Versionen mit offener Fahrerplattform lieferte das Traktorenwerk Schönebeck lediglich ins Ausland, die heimische Landwirtschaft erhielt den ZT prinzipiell mit fester Kabine inklusive Heizung und Lüftung.

Damit war er den meisten „kapitalistischen“ Konkurrenten gegen Ende der 1960er-Jahre klar überlegen. Im Laufe der 1970er-Jahre setzte westlich des Eisernen Vorhanges jedoch eine rasante Entwicklung ein, welcher die DDR-Industrie nicht folgen konnte. So macht der Innenraum des ZT im Vergleich zum „Special“-Deutz einen blechernen Eindruck. 

Kerniger Vierender aus Nordhausen
„Blechern“ ist noch eines der harmloseren Attribute, die dem Fahrer nach dem Start des Motors in den Sinn kommen. Man wird den Eindruck nicht los, sich den Arbeitsplatz mit einer laufenden Rüttelplatte teilen zu müssen. Glücklicherweise legt sich dieses Inferno bei steigender Drehzahl. Der Ton bleibt zwar kernig, doch die gefühlten Vibrationen nehmen merklich ab.

Mehr ist kaum zu erwarten, denn beachtliche 6,6 Liter Hubraum verteilen sich auf nur vier Zylinder. Ausgleichswellen sucht man vergebens, so dass erhebliche Massenkräfte zweiter Ordnung – also in vertikaler Richtung – auf das Gehäuse wirken. Gebaut wurde der kapitale Vierender im VEB IFA Motorenwerke Nordhausen. Dieser zuvor als Schlepperwerk tätige Betrieb hatte 1965 die Fertigung des in den frühen Nachkriegsjahren entwickelten Dieselmotors EM 4 vom VEB Sachsenring Zwickau übernommen.

Der daraus entwickelte 4 KVD 14,5/12-1 sollte mit von 6 auf 6,6 Liter vergrößertem Hubraum und von 90 auf 110 PS gesteigerter Leistung den damals neuen IFA-Lastwagen W 50 antreiben, enttäuschte jedoch durch mangelnde Standfestigkeit und hohen Verbrauch. In der Folge wurde das Baumuster unter Leitung von Chefkonstrukteur Ing. Günter Caspari zum Typ 4 VD 14,5/12-1 überarbeitet. Ein entscheidender Schritt war der Übergang vom Vorkammerverfahren auf die Direkteinspritzung, von der man sich einen rund 15 Prozent niedrigeren Kraftstoffverbrauch versprach.

Da die Entwicklung eines wettbewerbsfähigen Verfahrens in der geforderten Zeit nicht zu realisieren war, schloss man mit der MAN in Nürnberg einen Lizenzvertrag zur Nutzung des patentierten M-Verfahrens ab. Für jeden in Nordhausen gebauten Motor mussten fortan 50 DM Lizenzgebühren nach Nürnberg überwiesen werden. 

Dauerbrenner
1967 lief die Fertigung des nunmehr angemessen haltbaren und sparsamen Motors an, der mit 125 PS bei 2.200 U/min fortan im IFA W 50, mit 105 PS bei 2.000 U/min im Mähdrescher E 512 und mit 90 PS bei 1.850 U/min im ZT 300 eingesetzt wurde. Weitere Betätigungsfelder waren der Autodrehkran ADK 63, der Motorgrader SHM 4-120, russische SIL-LKW und das Notstromaggregat 6-2320.

Ursprünglich sollte der 4 VD 14,5/12-1 als Übergangslösung bis zur Serienreife eines neuen Sechszylinders nur rund vier Jahre gebaut werden. Stattdessen wurde er um 1980 zur Entwicklungsstufe 4 VD 14,5/12-2 mit an den Schmierkreislauf angeschlossener Einspritzpumpe und Evolventen-Wärmetauscher anstelle des korrosionsanfälligen Rohrbündel-Ölkühlers weiterentwickelt – und blieb letztendlich bis 1990, also stolze 23 Jahre, im Programm.

Rund 970.000 Exemplare lieferte das Werk Nordhausen, davon mehr als 570.000 an das Lastwagenwerk Ludwigsfelde, 86.000 an das Traktorenwerk Schönebeck und 60.000 für die Mähdrescher aus Singwitz. 

Drehfreudiger Sechsender aus Köln
Im Interesse der Zugänglichkeit ordnete das Traktorenwerk Schönebeck den Motor vor dem Kraftstofftank an und ließ nach vorne reichlich Raum für Kühlerpaket, Lüfter und Luftfilter. Preis der Großzügigkeit: Stolze 2,8 Meter Radstand. Um so erstaunter registriert man, dass sich auf dem 25 cm kürzeren Radstand des Deutz ein Sechszylinder unterbringen lässt.

Dieser versteckt sich allerdings platzsparend unter dem Kraftstofftank und benötigt zur Kühlung allein ein seitlich montiertes Axialgebläse. Sein Stammbau ist ähnlich lang wie der des Nordhäuser Vierenders. 1953 stellte Deutz seiner luftgekühlten „Erstlingsserie“ 514 die kleinere Baureihe 612 mit 90 mm Bohrung und 120 mm Hub zur Seite. Erweiterte Bohrung und diverse Verfeinerungen brachten die Familien 712 und 812 hervor.

Mit der 1968 eingeführten Serie 912 wuchs die Bohrung auf 100 mm, und die kurz zuvor zaghaft eingeführte Direkteinspritzung setzte sich auf breiter Front durch. Mit knapp 5,7 Litern hat der Deutz fast einen Liter weniger Hubraum als der ZT. Kürzerer Hub und die für den Massenausgleich vorteilhafte Zahl von sechs in Reihe angeordneten Zylindern lassen ihn geschmeidiger, wenn auch nicht unbedingt leiser, laufen. Die Nennleistung von 100 PS ist erst bei 2.300 gegenüber 1.800 U/min abrufbar, die „relative“ Leistungscharakteristik jedoch ähnlich. 

Aktuell bis in das 21. Jahrhundert
Gleichstand herrscht zumindest gemäß der Werksangaben zudem in puncto Kraftstoffverbrauch. Auch die Deutz-Motoren fanden zahlreiche Anwendungsfälle – unter anderem in Lastwagen und Baumaschinen – und blieben noch weitaus länger in Produktion als ihre Gegenstücke aus dem Osten.
Verfeinerungen des Einspritzsystems hielten den 912 bis in das 21. Jahrhundert aktuell. Seine Evolutionsstufen 913 und 914 befinden sich für verschiedene Anwendungsfälle gar bis heute im Programm.


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Ehemalige Klassenfeinde - Wer hat die Nase vorn, ZT 303 oder Deutz D 10006? - Text: Klaus Tietgens - Fotos:
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