Aus Freude am Schalten
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Irgendwann wird den Verhandlungspartnern klar geworden sein, dass Fahr auch in Zukunft keine Motoren bauen wird. Vielleicht hakte bei Güldner an dieser Stelle die hausinterne Kommunikation, sodass die Motorenentwickler glaubten, die Gottmadinger würden es richten, statt eilends selbst Motoren zu entwickeln. Tatsächlich richteten es dann doch die Gottmadinger. Es heißt, bei Daimler-Benz habe einer der Fahr-Söhne ein Betriebspraktikum absolviert. Dabei habe er den Unimog-Motor kennen und schätzen gelernt. In jener Notlage des Motorenmangels habe er seiner Familie vorgeschlagen, dieses Aggregat für das neue Oberklasse-Modell von Fahr (und Güldner) in Betracht zu ziehen. Wie die Diskussion in der Familie ablief, wissen wir nicht, aber das Endergebnis ist bekannt: Fahr verkaufte 1.743 D 177 und 5.826 D 177 S (Güldner: 2.287 der baugleichen A4M/A4MS), alle angetrieben vom OM 636.
Größeres Schwungrad
Für die spezifischen Anforderungen der Landwirtschaft bedurfte es einer Modifikation am Motor. Die Fahr-Techniker dienten dem OM 636 ein größeres Schwungrad an. Dessen Bewegungsenergie hilft, kurzfristige Lastspitzen zu überbrücken, wie sie auftreten, wenn eines der Räder über einen Stein läuft oder der Schlepper in einem Ackerstreifen mit höherer Bodendichte fährt. Einsatzsituationen, die in den Moränen des Voralpenlandes und im Klei der norddeutschen Landgewinnung keine Seltenheit sind. Bei einem ackernden D 177 sind die Drehzahlschwankungen deutlich zu vernehmen. Einem langsam laufenden Motor wäre kaum etwas anzumerken.
Auf einigen Höfen bedurfte es mehrerer durchgebrannter Zylinderkopfdichtungen, bis die Besitzer die Charakteristik des OM 636 begriffen. Sie hatten den Motor zu langsam gefahren. Das hochtourige Ackern mit dem 177 inklusive der ständigen Bereitschaft zu schalten, erst runter und dann gleich wieder rauf, ist ein Adrenalin förderndes Erlebnis. Wie im Sport. Es törnt an bis man süchtig ist. Oder es törnt ab. Manche kamen mit dem Motor nie zurecht. „Nichts gegen einen 177, aber als Zweitschlepper und nur für die Pflegearbeiten“, lautet eine Meinung. So gesprochen vom Wider-Wirt in Bietingen, selbst ein Freund von Fahr und Besitzer einer feinen Schleppersammlung.
Schneller rauf und runter
Motorenspezialist Dieter Rath beschreibt die unterschiedlichen Motorphilosophien an einem praktischen Beispiel: „Wenn ich mit dem D 177 S einen Anhänger den Berg hochziehe und vor einem Schlagloch den Fuß vom Gas nehme, kann es passieren, dass ich herunterschalten muss. Aber der OM 636 ist so drehfreudig, dass er den Schlepper beschleunigt, bis ich wieder hochschalten kann.“ Hubraumstarke Motoren würden nicht so schnell abfallen. Aber wenn sie in die Knie gehen, dauere es länger bis sie sich erholen. Der drehfreudige OM 636 fiele zwar eher ab, aber er würde sich danach auch schneller erholen. Wer was lieber mag, ist eine Geschmacksfrage.
Nur einmal scheint der Motor Kummer gemacht zu haben. Das geht aus einer Mitteilung hervor, die Güldner an die Händler schickte. Die Aschaffenburger sorgten sich Ende Juni 1960 um die Kugelstifte in den Zylinderköpfen des OM 636. Das Werk ersuchte die Händler darum, die Kugelstifte spätestens nach 800 bis 1.000 Betriebsstunden zu überprüfen, ebenso bei jeder Reparatur und Überholung. Die Kugelstifte wären auszubauen, die Kugeln auf ihren festen Sitz auf den Stiften sowie auf Beschädigungen zu untersuchen. Defekte Kugelstifte könnten schwere Motorschäden verursachen.
Dieter Rath weiß, was es damit auf sich hatte. Ab 1960 baute Mercedes diese Kugelstifte in die Brennräume ein. Die Einspritzdüse war auf die Kugel gerichtet, sodass diese den eingespritzten Kraftstoff zerstäubte. Der Diesel verbrannte besser, der Motor lief leiser und ruhiger. Der Motorenspezialist: „Die Gefahr sich lockernder Kugeln kann nur eine Kinderkrankheit gewesen sein. Mir ist keine einzige Kugel bekannt, die sich in einem Brennraum gelöst hat.“