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Startprobleme? Fremdwort!
Um den Direkteinspritzer auch in den kalten Alpenwintern ohne Vorglühen starten zu können, spendierte Hürlimann den Schleppern eine 24-Volt-Anlasserelektrik, wobei die Beleuchtung auf 12 Volt runtergeregelt wurde. Auch in Westfalen hat sich diese Technik bewährt. Die Schlepper müssen hier zwar nicht mehr arbeiten, aber auch Franz weiß es zu schätzen, dass Startprobleme ihm völlig fremd sind, auch nach längeren Standzeiten oder kalten Nächten. Für die Energieversorgung waren beidseitig unter dem Sitz zwei mächtige Akkumulatoren untergebracht, die Hürlimann bis 1953 sogar nach Maß fertigen ließ. Dasselbe galt für die Hinterradbereifung.

Hans Hürlimann war davon überzeugt, dass er das günstigste Profil für seine Arbeitsgeräte entwickelt hätte – eine Y-artige Struktur – und ließ diese Reifen bis 1952 sogar mit eigenem Schriftzug anfertigen. Auf den beiden Fahrzeugen in Stromberg sind diese tatsächlich noch erhalten.

Eine weitere Besonderheit lassen die Vorderräder der beiden Oldies erkennen: Beim Radwechsel wurde nicht wie sonst üblich die Felge an der Nabe abgeschraubt, sondern vielmehr nur der Radkranz entfernt. Dazu weisen die Naben außenliegende Schmiernippel zum Fetten der Lager auf. Zwischen der frühen Nachkriegszeit und Franz’ Erstling aus Großwangen liegt ein Quantensprung, der sich schon optisch nicht verbergen kann, auch wenn einige Einrichtungen wie Lenkung und Bremsen auf früheren Serien aufbauen. Aber zunächst einmal zum Äußeren: Der D 70 sticht in Holznienkempers Sammlung hervor, denn er trägt bereits das in der zweiten Hälfte der 50er-Jahre eingeführte Design.

Ein Sprung in die 60er-Jahre
Großzügige Chrom­applikationen zieren Haube und Grill und ein kühn geschwungener Kühlwasserverschluss krönt das Gesicht im wahrsten Sinne des Wortes. Im 1962 gebauten D 70 läuft der 1957 vorgestellte DS-Motor, eine Hürlimann-Eigenentwicklung. Den Konstruktionsaufwand lässt unter anderem die Tatsache erkennen, dass sechs Kolbenringe pro Zylinder verbaut sind, von denen die beiden oberen speziell gehärtet sind. Hürlimann verwendete jetzt auch Bosch-Einspritzungen und war auf 12-Volt-Technik übergegangen, verzichtete aber weiterhin auf Vorglühkerzen. Statt dessen befindet sich im Luftansaugtrakt eine Heizspirale, mittels welcher die Luft entsprechend der Außenwitterung durch einen Schalter am Armaturenbrett vorgewärmt werden konnte. Das Cockpit hat es sowieso in sich. Rechts der Lenkstange befinden sich gleich drei mächtige Hebel, von denen der obere die Handgasregelung ­inklusive Drehzahlanzeige bereitstellt. Darunter folgen die Heckhydraulikbetätigung mit Zentimeter-Skala zum Heben und Senken sowie zu unterst die Steuerung der Mähwerks­hydraulik. Mit dem eigenen Patent des so bezeichneten Blitz-Mähwerkes zeigten sich die Schweizer wieder einmal als Grünlandspezialisten: Das Aggregat war auch in vertikaler Position einsetzbar und verfügte über eine hydraulische Aufzugs- und Absenkmechanik, eine deutliche Erleichterung für den täglichen Einsatz, wie Franz weiß.

Es versteht sich von selbst, dass zwei Mähgeschwindigkeiten einzustellen waren. Und die zusätzliche Belastung konnte der nicht nur im Verhältnis zu seinem Gewicht leistungsstarke Traktor gut wegstecken. Im Gelände bewegte er sich über ein – natürlich eigener Fertigung entstammendes – Fünfgang-Getriebe mit Kriechganguntersetzung für die ersten beiden Stufen, bedient über eine eigene Doppelkupplung, mit der auch die Zapfwelle angesteuert wurde. Vom Schneckenantrieb der Hinterachse war man auf einen effizienteren Zahnradantrieb übergegangen.

Das besondere Dach
In Oelde hat der Franz seinen D 70 mit einem besonderen Zusatz nachgerüstet. Das Leichtdach mit Schnellverschlüssen wurde seinerzeit speziell im Hürlimann-Auftrag gefertigt und ist heute ein gefragtes Utensil. „Das hat mir schon bei mancher Ausfahrt eine trockene Pelle bewahrt“, auch wenn ein Westfale ansonsten natürlich wetterfest ist. ­Insgesamt ist der D 70 wirklich ein Schmuckstück geworden, dabei sah es zunächst gar nicht danach aus, dass er so alt werden würde. Im Herbst 1964 wollte Hans Stalder den Schlepper vor der Winterpause noch ein wenig nutzen. Er war zuversichtlich, es wäre noch nicht an der Zeit, das Kühlwasser abzulassen, doch der Biese, der in der Schweiz berüchtigte kalte Nordostwind ließ die Temperatur binnen einer Nacht auf minus acht Grad fallen; Ein Riss im Block war die unmittelbare Folge. Davon zeugt heute allerdings nur noch eine kleine Naht (s.oben)

In der Stromberger Schweiz ...
Mit großen Erfolgen war man in die Aufbauphase der Nachkriegszeit gestartet. Schon 1949 waren 200 Mitarbeiter beschäftigt, die Fertigung wurde massiv ausgebaut, und der Export reichte bis Übersee. Noch bis Mitte der 60er-Jahre boomte der Verkauf, mehr als 10.000 Einheiten waren mittlerweile im Umlauf. Und doch führte, da ist auch Franz Holznienkemper überzeugt, in erster Linie gerade die überragende Qualität in den Niedergang. „Die haben einfach zu viel selbst gemacht.“ Die Qualitätsansprüche von Hans Hürlimann waren nicht mit den Verkaufszahlen in Einklang zu bringen. Franz wundert sich, dass sie überhaupt solange durchgehalten haben. Zwar wurden im Laufe der Zeit vermehrt auch Bestandteile zugekauft, aber die eigene Fertigung und Entwicklung blieben zu aufwändig, als dass der Bestand zu sichern gewesen wäre. Die Eigenständigkeit in Wil endete mit der von 1977 bis 1981 vollzogenen Übernahme durch den italienischen Konkurrenten Same.

Neue Herausforderungen
Bei all der Arbeit ist Franz natürlich auch gesellig. Um sein Hobby zu teilen und die Stromberger Farben in der Szene zu verbreiten, hat Franz schon 1995 den Oldtimer-Stammtisch Stromberg-Keitlinghausen mit ins Leben gerufen. Gegenwärtig wendet man sich in Oelde-Stromberg neuen Aufgaben zu, denn mit drei Hürlimännern soll noch lange nicht Schluss sein. Der Franz deutet an, noch einen besonderen Schatz aufzubauen, aber dafür wäre es nötig, in die Schweiz zu fahren. „Die ist aber nur drei Kilometer entfernt“, wie er versichert. Seine Werkstatt, auf einem Bauernhof etwas außerhalb der Ortschaft, liegt tatsächlich – es ist kaum zu glauben – in der Stromberger Schweiz. So etwas kann eigentlich kein Zufall sein. „Doch, doch“, lacht da der Franz, „aber klasse ist es schon.“ Hier wartet seine neueste Errungenschaft: Franz restauriert einen D 210 aus dem Baujahr 1972 mit synchronisiertem Getriebe und Allradantrieb mit ZF-Vorderachse, der in diesem Jahr noch vollendet werden soll. Wir wünschen gutes Gelingen ...
 Bodo Wistinghausen

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