Der Patriot

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Einmal im Jahr holt der Hobbylandwirt den DDR-Mähdrescher auf das eigene Feld und lässt ihn wie vor über 40 Jahren arbeiten. Für die zwei Hektar große Fläche benötigt er etwa anderthalb Stunden. Aber auch Kleinsthobbybauern aus der Nachbarschaft kommen hin und wieder mit einem Pkw-Anhänger, gefüllt mit Getreide und nutzen den Oldtimer als reine Dreschmaschine. Außer der heutzutage vorgeschriebenen Blinkanlage sind alle Teile noch im Originalzustand.

Angetrieben wird der Mähdrescher von einem 54 PS starken Dieselmotor, der mit gesteigerter Drehzahl und 80 PS auch in den Lastwagen H3A, H3S und S4000 – allesamt Urahnen des legendären W50 – zum Einsatz kam. Das erleichtert die Suche nach einem eventuell notwendigen Ersatzmotor enorm. Der eingebaute Tank fasst 85 Liter – gegenüber dem Fünffachen oder mehr bei heutigen Mähdreschern. Der Verbrauch beträgt etwa fünfzehn Liter pro Stunde bei einer Ernteleistung von vier Tonnen. Gekühlt wird der Motor durch eine Wasserumlaufkühlung. Die allgemeine Bordelektrik arbeitet mit einer Spannung von 12 Volt, während der Anlasser 24 Volt benötigt. 

Bewundernd steht der Besitzer vor seinem technischen Meisterwerk. »Es ist alles über Winkelstreben befestigt und das meiste ist geschraubt. Das hält heute noch.« 1954 rollten die ersten Maschinen dieser Art vom Band. Im VEB Weimar-Werk wurden 6.573 Stück hergestellt, bevor die Produktion nach Singwitz verlagert wurde, wo weitere 12.128 Exemplare entstanden. 

Der E 175 war in der damaligen DDR die erste selbstfahrende Mäh- und Dreschmaschine und stellte damit eine enorme Arbeitserleichterung dar. Vor seinem Erscheinen gestaltete sich die Ernte ungleich umständlicher: Das Getreide wurde zunächst nur abgemäht und musste anschließend durch die Bäuerinnen und Bauern per Hand zu Puppen aufgestellt werden. Später folgten der Drusch und das Abpacken in Säcken.

Mit der neuen Erntebergungsmaschine war alles in einem Arbeitsgang möglich. Der E 175 hat insgesamt acht Vorwärts- und zwei Rückwärtsgänge, die sich auf eine schnelle Gruppe für Straßenfahrt und eine langsame Gruppe für die Ernte aufteilen. Vorwärts sind Geschwindigkeiten von 1,8 bis 15,2 km/h möglich, bei Rückwärtsfahrt maximal 3 km/h. Der Antrieb erfolgt über die Vorderachse, gelenkt wird wie üblich mit den Hinterrädern. 

Auch für Pferdewagen geeignet
Im Mähdrusch konnten sämtliche Getreidearten und Nicht-getreidefrüchte wie Schließmohn, Grassamen, Senf, Klee, Hirse, Luzerne und Lupinen geerntet werden. Für die Rapsernte gab es einen zusätzlichen Vorbau. Der Vorratsbehälter kann 1,7 Tonnen Getreide speichern. Da noch nicht alle LPG und landwirtschaftliche Betriebe vollständig motorisiert waren, gab es für die Entleerung zwei Möglichkeiten: Für die damals noch üblichen Pferdewagen war eine Rutsche vorhanden. Die war für Lkw jedoch zu tief. 

Aus diesem Grund gab es wahlweise die auch bei späteren Modellen noch verwendete Förderschnecke. Mit einem Hebel konnte zwischenden beiden Entleerungsmöglichkeiten gewählt werden. Auch die Spreu wurde damals weiter verarbeitet. Dazu gibt es eine Plattform, auf der zwei Arbeiter stehen konnten. Sie befüllten über einen Trichter wechselseitig zwei schlauchartige Säcke. »Mich begeistern immer wieder die vielen Keilriementriebe an diesem Mähdrescher«, schwärmt Reinhard Pötschke.

Die meisten Kraftübertragungen werden an dieser Mähmaschine über verschieden große Keilriemen realisiert. Der längste misst 5,10 Meter, ist 22 Millimeter breit und treibt vom Reinigungsgebläse aus das Spreugebläse an. Wenn er einmal reißt, muss eine Spezialanfertigung her. Ein weiterer Keilriementrieb ist für die Bewegung der Haspel zuständig. 

Je nachdem wie das Getreide steht, kann manuell durch Umlegen des Keilriemens auf einen anderen Durchmesser der dreistufigen Riemenscheibe eine andere Übersetzung eingestellt werden. »Hier war noch das direkte Wissen des Bauern wichtig«, ergänzt der Hobbylandwirt. Damit das Getreide in den Drescher gelangt, wird es durch die Haspel aufgerichtet. Liegt das Getreide zum Beispiel durch starken Regen am Boden, kann es mit aufsteckbaren Ährenhebern dem Messer zugeführt werden. 

Leider waren die Verluste bei der Ernte mit dem E 175 recht hoch, da die Technik von Mäh- und Druschwerk noch dem Stand der 50er-Jahre entsprach. Aus diesem Grund wurde in den 60er-Jahren ein Team gegründet, das den Nachfolger E 512 entwickelte. Trotz des verwendeten Schalldämpfers im Auspuff ist an ein Fahren ohne Ohrenschutz eigentlich nicht zu denken. Im Sinne einer weiteren Verbesserung der Sicherheit wurde erstmals eine Funkenflugsicherung eingebaut, um eine Entzündung des trockenen Getreides zu vermeiden. 

»In einer Kammer sind wechselseitig Platten angebracht, an denen die Abgase entlang strömen. Dadurch werden die Funken gelöscht«, ergänzt Reinhard Pötschke, der immer wieder erstaunt ist, wie zuverlässig der Patriot auch heute noch seinen Dienst versieht. Der nächste Oldtimer steht schon auf dem Hof. Es ist ein weiterer Famulus, den Reinhard Pötschkes Tochter selbstständig wieder herrichtet. Da sage noch einer, Oldtimer-Schrauben sei nichts für die ganze Familie ...


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E 175 Patriot
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