Schön, blau und stark

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Eleganz auf dem Acker
Gegenüber seinen drahtigen Brüdern Tiger und Königstiger wirkt der Mammut auf den ersten Blick – passend zu seinem Namen – etwas betulich. Ein anderer Eindruck entsteht hingegen, wenn das vom prinzipiell gleichen Motor angetriebene Flaggschiff ED 60 ins Bild fährt. Es kommt deutlich klobiger, weil länger und höher, daher.

Grund: Gegenüber dessen althergebrachtem ZF-Schubradgetriebe A-26 überzeugt das im Mammut eingesetzte A-216 nicht nur mit leichterer Schaltbarkeit, sondern auch mit niedrigerer Bauweise, da die Eingangswelle nahezu auf gleicher Höhe liegt wie die Hinterachse.

So ist nicht nur der Fahrersitz leichter zu erreichen, sondern der ganze Schlepper wirkt auch wesentlich handlicher und übersichtlicher. Dass der Mammut eine volle Tonne weniger wiegt als der ED 60, trägt seinen Teil zu diesem Eindruck bei. 

Handlich, schnell und kraftvoll
Diese Eigenschaft weiß Mike Ranft an seinem ED 310 durchaus zu schätzen, denn er unternimmt damit schon einmal längere Ausfahrten. Dabei ist nicht nur vom Besuch etwas weiter entfernter Schleppertreffen die Rede, sondern beispielsweise auch von der Reise zur Traktor-WM am Großglockner.

Das riecht selbst für manch unverbesserlichen Alteisenfreund nach einer Geduldsprobe, doch immerhin bot Eicher seine Schlepper ab 25 PS damals auf Wunsch als Schnellläufer mit rund 30 km/h Höchstgeschwindigkeit an. Dieses Potential lässt sich im Mammut dank des kraftvollen Motors auch in onduliertem Gelände oder mit schwerer Last im Schlepp ausnutzen.

Dass sich einst nicht wenige Käufer mit der 20-km/h-Variante begnügten, hatte dennoch mannigfaltige Gründe. Einerseits durften Inhaber des Führerscheins der Klasse IV nur diese fahren, andererseits wurde für manche Einsätze ein Kriechgang um 1,2 km/h benötigt, der beim Schnellläufer auf 1,8 km/h „beschleunigte“.

Zu guter Letzt waren für die „schnelle“ Zulassung einige aufpreispflichtige Ausstattungsdetails wie Blinkleuchten, Fernlicht und Rückspiegel erforderlich.

Evolution
Für Inhaber aktueller Führerscheinklassen, die ihren Schlepper bevorzugt als Freizeitfahrzeug einsetzen, entfallen derartige Argumente freilich. Auch das Fehlen eines hydraulischen Krafthebers an seinem Fahrzeug stört Mike Ranft herzlich wenig. Dabei setzte genau dort die erste Weiterentwicklung des Mammut an.

Mit Auslaufen der Ferguson-Patente war für alle Hersteller die Technik der Regelhydraulik zugänglich. Davon machte ab Juli 1962 auch Eicher unter Zuhilfenahme von Bosch-Steuergeräten in seinen Schleppern ab 28 PS Gebrauch. Im Falle des Mammut stieg zudem die maximale Hubkraft von 950 auf 1.200 kg. Etwa gleichzeitig gelangte das zur Ausbaustufe A-216 II weiterentwickelte ZF-Getriebe zum Einsatz.

Die Scheinwerfer wurden nunmehr direkt an der Motorhaube befestigt, die hinteren Kotflügel geändert und die Standard-Spurweite von 1.370 auf 1.500 mm vergrößert. Diese Verbesserungen nahmen die Konstrukteure zum Anlass, die technische Bezeichnung des Mammut von ED 310 auf ED 500 zu ändern. 

Revolution
Das stärkste Mitglied der Raubtierfamilie war der ED 500 nicht mehr, denn Eicher hatte ihm den EM 600 alias Mammut II vor die Nase gesetzt. Grundlage dieser Entwicklung war der EDK 4 als erster Vierzylindermotor des Hauses, der aus knapp vier Litern Hubraum 55 PS bei 2.000 U/min schöpfte.

Durch diesen Antrieb war der EM 600 rund zehn Zentimeter länger als der ED 500, dem er – davon abgesehen – technisch weitgehend entsprach. Auch hier bestimmte eine ZF-Gemmerlenkung die Fahrtrichtung, auch hier übertrug das ZF-Getriebe A-216 II die Kraft, nur das Hubwerk stemmte sogar 1,6 Tonnen. 

Das Maß der Dinge
Wenig später löste sich die Daseinsberechtigung des ohnehin nur in homöopathischen Dosen verkauften Flaggschiffes ED 60 in Wohlgefallen auf. Ungeachtet allgemein wachsender Leistungsansprüche waren 60 PS auf dem deutschen Schleppermarkt bereits seit den frühen 1950er-Jahren das Maß aller Dinge.

1951 hatte Deutz seinen F4L 514 präsentiert, 1952 und 1954 waren Fahr und Eicher mit den identisch motorisierten Typen D 60 L und L 60 gefolgt. ­Andere Hersteller wie Primus, Röhr und Titus erlangten mit derart starken Schleppern kaum Bedeutung. Auffällig ist, dass nennenswerte Modellpflege in dieser Leistungsklasse jahrelang kaum umgesetzt wurde, wenn man einmal vom Ersatz des Deutz-Motors im Eicher L 60 durch den hauseigenen Motor im ED 60 absieht.

Während die Technik in den kleineren Klassen unaufhaltsam fortschritt, verharrten die Flaggschiffe auf dem Stand der frühen Nachkriegszeit. 

Neue Akzente
In diesem Umfeld setzte ausgerechnet Eicher Anfang 1964 neue Akzente. Der von ZF seit dem zurückliegenden Herbst für die Getriebe der A-200-Serie angebotene Vorderachsantrieb nebst dazugehöriger Achse GLA-2550 ermöglichte die Aufrüstung des EM 600 zum allradgetriebenen EA 600 bzw. Mammut II Allrad.

Im Bewusstsein, dass selten die volle Kraft über die Hinterachse übertragen würde, steigerte Eicher die Leistung des Vierzylindermotors in diesem Schlepper auf 60 PS. Ein neues Flaggschiff war geboren. Allradgetriebene Schlepper hatte es nicht nur bei Eicher – hier bislang mit gleich großen Rädern – schon zuvor gegeben, 60-PS-Schlepper bekanntlich auch.

Ein allradgetriebener 60-PS-Schlepper war aber – abgesehen von einer verschwindend geringen Stückzahl des längst verblichenen MAN 4 T 1 – ein absolutes Novum. Nebenbei sei erwähnt, dass ab Oktober 1964 auch der hinterradgetriebene EM 600 mit 60 PS antrat und der ED 500 endlich vom EM 500 bzw. Mammut I mit dem auf 50 PS zurückgefahrenen Vierzylindermotor der neuen Generation abgelöst wurde.

Im Verkauf liefen Mammut I und II fortan mit den Zusatzbezeichnungen E 55 und E 65 bzw. ab 1965 als E 504 und E 604.

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Schön, blau und stark - Text und Fotos: Klaus Tietgens
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